Die Klosterhalbinsel Wettingen

Das Kloster Wettingen wurde 1227 auf der damals einsam gelegenen Limmathalbinsel südlich des Bauerndorfes Wettingen das Zisterzienser-Kloster „Maris Stella“ gegründet. Gemäss Gründungslegende habe Heinrich II. von Rapperswil zur Zeit des fünften Kreuzzuges eine Pilgerreise ins Heilige Land unternommen; auf der Rückreise sei er in einen schweren Sturm geraten; in dieser Seenot habe er Maria um Hilfe angerufen und ihr nach einer Rettung die Gründung eines Klosters versprochen; daraufhin sei am Himmel ein rettender Stern erschienen; nach der Heimkehr sei ihm im Limmattal der gleiche Stern erschienen und habe ihm gezeigt, wo er das Kloster gründen soll. Auf dieser Gründungslegende sind der Name (Maris Stella – Meerstern, das Wappen (Stern über den Meereswellen, Meerjungfrau) und der Wahlspruch (Non mergor – ich gehe nicht unter) zurückzuführen.

Nebst der geistlich-religiösen Motivation spielten auch machtpolitische Faktoren mit: die Rapperswiler waren unter anderem auch in diesem Gebiet Kastvögte für die Klöster Einsiedeln und Schänis und gerieten damit nach dem Aussterben der Grafen von Lenzburg in die Machtkämpfe zwischen den Habsburgern und den Kyburgern; in diesem Machtvakuum positionierten sie sich mit der Klostergründung in Wettingen.

Gemäss dem zisterziensischen Filialprinzip ist Wettingen ein Tochterkloster von Salem (am Bodensee); Mönche von Salem besiedelten das neu gegründete Kloster. In kurzer Zeit blühte das Kloster Wettingen religiös, kulturell und wirtschaftlich auf. Als grösster Grundherr und wichtigster Gerichtsherr prägte das Kloster über Jahrhunderte das Limmattal. Berühmt waren vor allem die Schreibstube und die Bibliothek des Klosters Wettingen sowie die Einrichtung einer eigenen Buchdruckerei bereits in der zweiten Hälfte des17. Jahrhunderts.

Der wohl bedeutendste Abt war Peter Schmid aus Baar: Nach der schweren Krise des Klosters in der Reformation und nach Jahrzehnten der Schuldenwirtschaft gelang es ihm Ende des 16. Jahrhunderts, das Steuer herumzureissen und das Kloster zu neuer Blüte zu führen. Er gilt quasi als zweiter Gründer und hat vor allem im baulichen Bereich tiefe Spuren hinterlassen; parallel zu seinen Neu- und Umbauten erneuerte er den Konvent, widmete sich den Filialklöstern und dem Aufbau einer Zisterzienser-Kongregation unter der Führung von Wettingen.

Gegen Ende des 18. Jahrhunderts entstanden umfangreiche Neu- und Ausbauprojekte, unter anderem peprägt von St. Urban. Doch wegen der Kriegswirren während der Jahrhundertwende und der danach folgenden wirtschaftlichen Bevormundung durch den jungen Kanton Aargau mussten die Projekt aufgegeben werden. Die bisherigen Gebäude blieben unverändert bestehen und so ist Wettingen die besterhaltene zisterziensische Klosteranlage der Schweiz und weit darüber hinaus mit unverfälschter Ordensarchitektur geblieben. Sehr bemerkenswert sind auch die Glasgemälde im Kreuzgang.

Schwer litt das Kloster in den Wirren der Kriegsjahre 1799/1800: nicht nur wurde das Kloster durch die Helvetische Republik unter staatliche Zwangsverwaltung gestellt, sondern es lag auch unmittelbar an der Kriegsfront zwischen Franzosen einerseits und Oesterreichern und Russen anderseits, was zu eingreifenden Zwangseinquartierungen und Kontributionen führte. Die staatliche Bevormundung und wirtschaftliche Aushungerung wurde auch vom Kanton Aargau weitergeführt und gipfelte 1841 in der Klosteraufhebung durch Grossratsbeschluss: innert 48 Stunden mussten die Mönche ihr Kloster verlassen; die Klosteranlagen und das gesamte Klostergut gingen an den Kanton über.

Kloster Wettingen-Mehrerau

„Non mergor – ich gehe nicht unter“. Dieser Wahlspruch des Klosters bewahrheitete sich auch nach der Klosteraufhebung. Zwar verlor der Konvent seine Klosteranlage und sein Klostergut, doch kirchenrechtlich blieb das Kloster bestehen. Nach diversen kurzen Aufenthalten (unter anderem Kloster Frauenthal, Schloss Buonas, Hof St. Karl bei Zug, Kloster Werthenstein und Kloster Wurmsbach) konnte 1854 mit Hilfe des österreichischen Kaisers in der Mehrerau bei Bregenz im ehemaligen, 1805 aufgehobenen Benediktinerkloster eine neue Heimat gefunden werden. Sehr rasch begann in der Mehrerau das klösterliche Leben zu blühen. Das sofort gegründete Gymnasium ist auch heute noch eine der wichtigsten und erfolgreichsten Aufgaben des Klosters. Der Abt ist Abt von Wettingen und Prior der Mehrerau; nach wie vor ist der Abt „Abbas nullius“, d.h. er ist nicht einem Bischof unterstellt, sondern direkt dem Papst. 1938 schlossen die Nationalsozialisten das Gymnasium und 1941 hoben sie das Kloster formell auf. Bereits 1939 zogen Schweizer Mönche nach Hauterive (bei Freiburg) und verhalfen diesem aufgehobenen Zisterzienser-Kloster zur Wiederbelebung. Nach dem Weltkrieg konnte in der Mehrerau das klösterliche Leben wiederaufgenommen werden und das Gymnasium wiedereröffnet werden. Das Kloster Wettingen in der Mehrerau erwuchs in neue Blüte, welche bis in die Gegenwart andauert: non mergor.

P. Alberich Zwyssig

Der berühmteste Mönch des Klosters Wettingen war P. Alberich Zwyssig. 1808 in Bauen geboren, trat er 1821 in die Klosterschule Wettingen ein. Im Stiftschor und im Orchester begann seine musikalische Ausbildung und fruchtbare Komponistentätigkeit; er spielte ausser Klavier, Orgel und Violine auch mehrere Blasinstrumente.1826 begann sein Noviziat, 1827 folgten die Gelübde und 1832 die Priesterweihe. Unmittelbar nach Abschluss seiner Studien wurde er Stiftskapellmeister. Sein bekanntestes Werk ist die 1835 komponierte Messe „Diligam te Domine“, deren Graduale zusammen mit dem Text des Zürchers Leonhard Widmer „Trittst im Morgenrot daher“ zum Schweizerpsalm und später zur Nationalhymne geworden ist.

Nebst seinem musikalischen Wirken war P. Alberich unermüdlicher und initiativer Sekretär des Abtes. An der erfolgreichen Suche nach einer neuen klösterlichen Heimat und am Umzug in die Mehrerau hatte P. Alberich wesentliche Verdienste. Aber nur wenige Wochen nach der Wiederaufnahme des klösterlichen Lebens verstarb P. Alberich Zwyssig am 18. Nov. 1854 an einer Lungenentzündung.